Reisebericht 2023


Von Ina Dormuth

Mit Beginn des Jahres 2023 haben wir (Shahabuddin Miah, Kaya Miah, Milon Miah, Oliver Schuster und Ina Dormuth) unsere Koffer und Rucksäcke gepackt, um nach der langen Corona-bedingten Reisepause der Grundschule in Bajitpur einen Besuch abzustatten. Nach unserer Landung am 3. Januar 2023 waren wir vor allem fasziniert zu sehen, wie sich das Land in den letzten drei Jahren entwickelt hatte. Statt einer etwa 10-stündigen Tagesreise betrug die Fahrtzeit vom Flughafen Dhaka bis ins Dorf Bajitpur nur noch etwa drei Stunden. Die meiste Zeit nahm davon auf jeden Fall der dichte Verkehr der Hauptstadt in Anspruch. Die Umgewöhnung von Rechts- auf Linksverkehr ist wohl die geringste Herausforderung, wenn man als deutsche*r Bideshi (Bengali für „Ausländer*in“) das erste Mal in den Straßenverkehr Bangladeschs eintaucht. Nachdem wir aus dem Großstadt-Gewusel mit Fahrzeugen in jeglich vorstellbarer Form auf die neue, moderne Schnellstraße und über die Padma-Bridge gekommen waren, flog die beeindruckende Natur Bangladeschs nur so an uns vorbei. Auch das Dorf hatte sich stark verändert. Der Hauptweg war inzwischen asphaltiert und einige der Wellblechhütten wurden durch die ersten Steinhäuser ersetzt. Neben diesen positiven Veränderungen ist uns vor allem das Müllproblem im Dorf sofort ins Auge gefallen, denn mit dem schnellen Fortschritt kommt auch das Plastik – und das wesentlich schneller als Möglichkeiten zur Müllentsorgung. Damit haben wir einen neuen Punkt auf die Agenda unseres Besuchs gesetzt: Das Bewusstsein für die Auswirkungen von Plastikmüll auf die Natur zu stärken und gemeinsam nach einer Lösung für die Müllbeseitigung zu suchen.

Direkt nach unserer Ankunft besuchten wir die Grundschule „Mahbubur Rahman Prathomikbiddaloy“, die mit Hilfe des deutschen Vereins Madaripur-Hilfe e.V. gegründet wurde und nun durch Spendengelder weiter finanziert wird. Wir wurden direkt – trotz Ferienzeit – von drei Lehrer*innen und freudigen Schülerinnen und Schülern sehr herzlich begrüßt. Bei dieser ersten Zusammenkunft haben wir uns einen Überblick über den aktuellen Zustand des neuen Schulgebäudes gemacht und uns von den Lehrer*innen berichten lassen, wie die aktuellen Entwicklungen an der Schule sind und wo sie Bedarf für Änderungen sehen. Aus den Gesprächen und unseren Ideen haben sich einige potentielle neue Projekte für das anstehende und die folgenden Jahre ergeben: Dazu gehören die Einrichtung einer kostenlosen Bibliothek und die Einführung von Erwachsenenbildung für die gesamte Dorfgemeinschaft. Beide Projekte zielen darauf ab, die noch immer hohe Analphabeten-Quote Bangladesch zu bekämpfen.

Am zweiten Tag haben wir noch eine andere Grundschule in einem Nachbardorf besucht, um weitere Einblicke in den Schulalltag zu bekommen. Dort haben wir in der Pause mit den Kindern Fußball gespielt und kurz dem Englisch-Unterricht einen Besuch abgestattet. Das erste was die Kinder hier gelernt hatten war die Begrüßung („How are you?“), die sie uns voller Euphorie im Chor entgegen schmetterten. Am Nachmittag haben wir einige der Lehrer*innen zuhause besucht, ihre Familien kennengelernt und den üblichen Tee mit viel Zucker und Milch getrunken. Die Gastfreundschaft der Leute ist wirklich unvergleichlich und man fühlt sich überall und zu jederzeit willkommen.

Am dritten Tag haben die Kinder für uns die bengalische Nationalhymne gesungen. Danach haben wir uns dann unserem neuen Projekt gewidmet und in der Pause zusammen mit den Kindern den Plastikmüll im und um das Schulgelände gesammelt und gemeinsam mit dem Schulleiter überlegt, wie man das Problem langfristig angehen könnte. Der Kontrast zwischen den Verpackungen von frittierten Erbsen und Dal (Bengali „Chana Chur“, the quint-essential Bangladeshi snack) zu der des Dorfes war unübersehbar. Nachmittags haben wir uns dann auch von Shahabuddin und einigen Dorfbewohner*innen die Flora und Fauna im Dorf erklären lassen. Es ist beeindruckend wie gut jede*r Einzelne die Pflanzen und ihre Verwendungen kennt. Nach einem kleinen Ausflug in den Süden Bangladeschs haben wir uns im Detail mit den Beständen der Schule, der Personalsituation und dem Stundenplan befasst. Einige der Schulbücher haben so schlechte Seitenqualität, dass die Bücher nicht viel länger als ein Schuljahr halten. Einige der Sportutensilien der Kinder waren kaputt – so haben die Kinder nach der Schule immer mit einem platten Fußball gespielt. Neben Fußball sind Cricket und Badminton die populärsten Sportarten und so haben wir kurzerhand neue Utensilien für Sportunterricht und Freizeit besorgt und der Schule zur Verfügung gestellt. Weiterhin haben wir zumindest den Schulleiter mit einem Computer ausgestattet, damit Buchführung und Kommunikation außerhalb unserer Reisen in Zukunft reibungsloser verlaufen können. Neben der ganzen Bürokratie blieb auch noch ein wenig Zeit zum gemeinsamen Musizieren – Kinder und Lehrer*innen haben unter Leitung der Musiklehrerin und mit Begleitung des Harmoniums ein paar Lieder gemeinsam gesungen. Gegen Ende unserer Reise hatten wir die Gelegenheit, auch noch die Universität von Dhaka zu besuchen, um das höhere Bildungssystem des Landes ein bisschen besser kennenzulernen. Dazu wurden wir vom Department of Fisheries eingeladen. Nachdem uns die Professoren etwas zu dem Department und ihrer Forschung erzählt hatten, konnten wir uns mit den Studierenden über die Unterschiede zwischen dem Studium in Deutschland und Bangladesch austauschen. Wir haben die Gelegenheit auch genutzt, um die Studierenden nach ihren Verbesserungsvorschlägen für das Bildungssystem in Bangladesch zu fragen. Im Anschluss haben sie uns noch kurz den wirklich schönen Campus mit den historischen Gebäuden gezeigt. Vieles fühlt sich sehr vergleichbar an zu dem UniLeben in Deutschland – doch wenn man den Campus verlässt, wird einem schnell wieder bewusst, dass es große Unterschiede zwischen den Ländern gibt. Das Unigelände ist von sehr vielen Obdachlosen und Bettlern umgeben und auch hier ist der Kontrast zwischen den zufriedenen Studierenden mit Zugang zu Bildung und den Menschen auf der Straße besonders einprägsam. Der Abschied vom Dorf, den Lehrer*innen und Kindern ist uns nach fast 2 Wochen sehr schwer gefallen und es wurden einige Tränen vergossen. Aber wir kommen mit vielen Ideen und noch mehr persönlicher Motivation von unserer Reise zurück und können kaum erwarten zu sehen, wie viel sich bis zum nächsten Besuch verändern wird.